Salonsozialisten

von Daniel am 11.12.2013

Scha­det es dir, wenn du als Salon­bol­sche­wist ver­klei­det ein­her­ge­pol­tert kommst? Gar nicht.
     - Kurt Tucholsky, Ber­li­ner Geselligkeiten

Am Vor­abend der sozia­lis­ti­schen Revo­lu­tion geht es noch ein­mal zu McDo­nalds. Nach­dem auf dem dies­jäh­ri­gen Bun­des­kon­gress der Jusos das Arbeits­pro­gramm „Mor­gen links leben“ ver­ab­schie­det wurde, an pro­mi­nen­ter Stelle mit dem Ziel, das kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem zu über­win­den, möchte man vor­her noch ein­mal den Geschmack der groß­in­dus­tri­el­len Nah­rungs­mit­tel­pro­duk­tion genie­ßen. Wieso auch nicht, die bes­sere Welt wurde bereits beschlos­sen, und mit Beschluss­la­gen ist in der Poli­tik nicht zu spaßen.

Damit die Beschluss­lage stimmt, orga­ni­sie­ren die Jusos ein­mal im Jahr den gro­ßen Bun­des­kon­gress, auf dem mehr als 300 Dele­gierte aus allen Tei­len der Bun­des­re­pu­blik Poli­tik für junge Men­schen machen wol­len. Die­ses Jahr hat man in Nürn­berg getagt, in der mitt­ler­weile ver­las­se­nen Zen­trale des abge­wi­ckel­ten Quelle-Konzerns. Ich war die­ses Mal Teil der NRW-Delegation, mein Köl­ner Unter­be­zirk stellt heuer ganze 9 Dele­gierte — mehr als der Lan­des­ver­band Bran­den­burg oder der in Mecklenburg-Vorpommern.

Über­haupt ist Köln eine kleine Beson­der­heit in Nordrhein-Westfalen. Wie bei jeder Par­tei gibt es auch bei den Jusos ver­schie­dene Strö­mun­gen, genau genom­men drei: Das Netz­werk Lin­kes Zen­trum (NWLZ), die Tra­di­tio­na­lis­ten (Tra­dis) und die Prag­ma­ti­sche Linke (PL). Und wäh­rend nun fast ganz Nordrhein-Westfalen vom Lin­ken Zen­trum besetzt wird, ist Köln eine Enklave der Prag­ma­ti­ker. Ein klei­nes rhei­ni­sches Dorf gewis­ser­ma­ßen, das nicht auf­hört Wider­stand zu leisten.

Gegen den Strom

Für Außen­ste­hende muss man das viel­leicht erklä­ren: An die­sen Strö­mun­gen schei­det sich auch das Selbst­ver­ständ­nis der Jusos. Für die soge­nannte „Gesamt­linke“, Tra­dis und NWLZ, bedeu­tet Jusos „Jung­so­zia­lis­ten“, also das ganze dun­kel­rote Pro­gramm mit Marx, Engels und der inter­na­tio­na­len Soli­da­ri­tät. Für die Prag­ma­ti­ker ist es die Abkür­zung für „Junge Sozi­al­de­mo­kra­ten“, man ist hier im all­ge­mei­nen weni­ger nost­al­gisch. Damit sind auch die Fron­ten klar, es teilt sich gewis­ser­ma­ßen an der „Godes­ber­ger Linie“: Hier die sozia­lis­ti­sche Arbei­ter­ju­gend im Klas­sen­kampf, dort die junge Volks­par­tei mit real­po­li­ti­scher Initia­tive. Demo­gra­fisch ist es dabei iro­ni­scher­weise genau umge­kehrt: Die Gesamt­linke besteht größ­ten­teils aus Mittelschicht-Studenten geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher Cou­leur, wäh­rend man bei den Prag­ma­ti­kern häu­fig Men­schen fin­det, deren Erwerbs­bio­gra­phie bereits eine gewisse Belast­bar­keit ent­wi­ckelt hat.

Der fak­ti­sche Unter­schied zwi­schen Tra­dis und Lin­kem Zen­trum bleibt dabei aka­de­misch und ent­steht oft nur regio­nal oder auf­grund leicht abwei­chen­der Marx-Exegese. Ein Genosse erklärt es mir auf der Bus­fahrt nach Nürn­berg: Die vom NWLZ tra­gen auch schon mal Kla­mot­ten von H&M. In der Sache sei man sich aber einig: Der Kapi­ta­lis­mus müsse weg, Dis­kri­mi­nie­rung auch und ganz all­ge­mein habe die Welt von mor­gen ein Gleich­stel­lungs­fa­nal zu erfah­ren, das alle mensch­li­chen Unter­schiede auf­löse in ein Kol­lek­tiv har­mo­nie­ren­der Stoffwechsler.

Was hier an Strö­mungs­de­tails albern und irre­le­vant klin­gen, erlebe ich dann nach fünf­stün­di­ger Anreise an drei Tagen in einer thea­tra­li­schen Dimen­sion, die an Absur­di­tät und Wahn­witz nur schwer zu über­bie­ten ist. Vor allem erlebe ich es aber als hand­feste Dis­kri­mi­nie­rung. Das ist für einen wei­ßen, pri­vi­le­gier­ten Mann eine sehr über­ra­schende Erfah­rung. Zumal ich nicht wusste, dass sich die Strö­mungs­fron­ten bis in die Orga­ni­sa­ti­ons­in­sti­tu­tio­nen des Ver­bands ver­län­gern und man als Anders­den­ken­der gera­dezu aktiv ver­ach­tet wird.

Im Vor­feld habe ich es des­halb erst mal für ein Ver­se­hen gehal­ten, dass ich als Ersatz­de­le­gier­ter auf einem rela­tiv aus­sichts­rei­chen Lis­ten­platz nicht über mei­nen mög­li­chen Ein­satz infor­miert wurde. Bis mich dann eine Bekannte aus einer der ande­ren Strö­mun­gen anschrieb, ob ich denn eben­falls in Nürn­berg dabei wäre. Dass die junge Dame auf der Ersatz­liste knapp 10 Plätze hin­ter mir stand, fand ich selt­sam, denn schein­bar hat­ten auch andere Strö­mungs­ge­nos­sen weit vor mir auf der Liste noch keine Benach­rich­ti­gung bekom­men. Nach kur­zer offi­zi­el­ler Nach­frage beim NRW-Landesbüro ging es dann aber ganz schnell: Alle Ersatz­de­le­gier­ten der PL, so stellte es sich nach­her her­aus, wur­den im Minu­ten­ab­stand ange­ru­fen und infor­miert. Es schien, als würde eine Liste abte­le­fo­niert. Es ist ein sehr selt­sa­mes Gefühl, auf einer poli­ti­schen Liste zu stehen.

Kabale und Hiebe

Aber so läuft es auf Juso-Bundesebene, das weiß ich jetzt. Im Gegen­satz zur poli­ti­schen Arbeit an der Basis geht es hier nicht um Argu­mente, son­dern um Stall­ge­ruch. „Wir gegen die“ lau­tet die Strö­mungs­de­vise, gut (Tradi & NWLZ) gegen böse (PL). Dabei wer­den in einer über­ra­schend scham­lo­sen Weise schmut­zige Tricks ange­wandt, die einer höfi­schen Kabale in nichts nach­ste­hen. Vor allem die durch und durch real­po­li­tisch ori­en­tierte Dele­ga­tion aus Ham­burg wird auf Bun­des­ebene regel­recht geäch­tet. Ich wun­dere mich noch beim Schrei­ben die­ses Tex­tes, wie ein der­ar­ti­ges Ver­hal­ten mit den hoch­ge­hal­te­nen Wer­ten von Gleich­heit und sozia­ler Gerech­tig­keit in Ein­klang gebracht wer­den kann. Ent­we­der wer­den hier beide Augen zuge­drückt, oder man ist der­art selbst­ge­recht, dass der Zweck die Mit­tel hei­li­gen darf.

Das wird beson­ders offen­sicht­lich bei den Vor­stands­per­so­na­lien, die unter der har­ten Fuch­tel der Gesamt­lin­ken statt­fin­den. Jetzt könnte man ja als Außen­ste­hen­der mei­nen, dass die PL bei einem knap­pen Drit­tel aller Dele­gier­ten im Vor­stand ver­tre­ten sein müsste, wenn man denn Diver­si­tät und Mei­nungs­viel­falt ernst nähme. Ist sie aber nicht, die neue Vor­sit­zende Johanna Ueker­mann erklärt bei ihrer Vor­stel­lungs­runde auch warum: „Einen Platz im Bun­des­vor­stand muss man sich ver­die­nen.“ In ande­ren Wor­ten: Da könnte ja jeder kom­men. Viel­leicht werde ich das Argu­ment mal auf­grei­fen, wenn es um andere Quo­ten geht. Ich könnte dann sagen: Einen Platz im Auf­sichts­rat muss man sich ver­die­nen. Das würde die Dis­kus­sion sicher­lich span­nend machen.

Wirk­lich fas­sungs­los werde ich dann aber bei der Wahl für den Bun­des­vor­sitz am Frei­tag Abend. Im Vor­feld wurde bereits durch den alten Vor­stand die Nach­fol­ge­rin ver­ord­net — in einer Weise, die die Kan­di­da­ten­fin­dung Peer Stein­brücks nach­ge­rade basis­de­mo­kra­tisch erschei­nen lässt. Die befoh­lene Erb­folge gip­felte dabei in einem taz-Artikel, der Ueker­mann Wochen vor dem Kon­gress bereits zur neuen Vor­sit­zen­den erklärte. Viel­leicht durfte sie des­halb auch das Arbeits­pro­gramm vor­stel­len, sie bekommt auf diese Weise jeden­falls mehr als dop­pelt so viel Zeit die Dele­gier­ten zu umschmei­cheln. Wobei sie das eigent­lich nicht nötig hat, die Wahl an sich ist wegen der ein­be­to­nier­ten Mehr­hei­ten ohne­hin weit­ge­hend bedeu­tungs­los. Der Gegen­kan­di­dat aus der PL, Hauke Wag­ner, ent­spricht näm­lich so gar nicht der sozia­lis­ti­schen Richt­li­nie: Real­po­li­ti­ker, Indus­trie­ma­na­ger, Ver­hei­ra­tet, Ham­burg. Außer­dem will er die Große Koali­tion, gewis­ser­ma­ßen als Sah­ne­häub­chen auf der Hen­kers­mahl­zeit. Wie ver­hasst so jemand ist, merke ich bei sei­ner Rede: Mit ech­ter Über­zeu­gung hebt er ent­schlos­sen die Faust und ruft in den Saal: „Kein Fuß­breit dem Faschis­mus!“ — und ern­tet betre­te­nes Schwei­gen bei den lin­ken Strö­mun­gen. Ich frage mich, wie ver­bohrt man sein muss, um als Lin­ker bei so einem Satz nicht zu klat­schen. Man weiß es nicht, man ahnt es aber.

Man sieht es auch spä­ter wie­der bei einem Antrag aus Ham­burg. Eine Azubi-Gruppe soll ein­ge­rich­tet wer­den, was natür­lich nicht sein kann, weil man aus Ham­burg kei­nen Antrag dul­det. Des­halb tre­ten ein paar Schü­ler ans Mikro, reden von Par­al­lel­struk­tu­ren und behaup­ten, die Schü­ler­gruppe der Jusos würde sich ja um die Azu­bis küm­mern. Dann fällt noch das Mikro aus, als ein Ham­bur­ger den Antrag ver­tei­di­gen will, und schon sind zwei Drit­tel im Saal der Mei­nung, dass die Jung­so­zia­lis­ten der ältes­ten Arbei­ter­par­tei Deutsch­lands kein Ange­bot für den betrieb­li­chen Nach­wuchs brauchen.

Das ist nicht nur gro­tesk, son­dern auch tie­fen­iro­nisch: Bei einem Ver­band, der so oft von „Über­zeu­gung“ spricht, ist die Über­zeu­gung im Dis­kurs nicht vor­ge­se­hen. Hier gibt es rich­tig und falsch, ein­se­hen und ein­kni­cken. Echte Tole­ranz, also die vor­be­halt­lose Akzep­tanz der Mög­lich­keit einer ande­ren Wahr­heit, sucht man vergebens.

Mora­li­sches Theater

Es wird auf dem Kon­gress ohne­hin viel geheu­chelt. Wäh­rend vorne die Abkehr vom kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tem gefor­dert wird, kann man sich in der Vor­halle des Ple­nums bei den Lob­by­stän­den der Deut­schen Bahn und der Tele­kom bera­ten las­sen, eine Ver­si­che­rung abschlie­ßen oder XBox spie­len. Ich selbst habe weder Pro­bleme mit der Deut­schen Bahn (bis auf die obli­ga­to­ri­schen Ver­spä­tun­gen), noch mit der Tele­kom oder einer XBox, aber ich behaupte ein­fach mal, dass nichts davon im Sinne der sozia­lis­ti­schen Revo­lu­tion ist. Auch die Unter­brin­gung der Dele­ga­tion im Livestyle-Hotel mit Design-Interieur ist mir alle­mal lie­ber als die schä­bi­gen Lager­häu­ser, in denen Marx und Engels über den Arbei­ter­auf­stand dis­ku­tier­ten, aber auch hier könnte man als ech­ter Sozia­list kri­tisch den Fin­ger heben. Als Kulisse für das denk­wür­dige Schau­spiel, bei dem eine Gruppe pri­vi­le­gier­ter Stu­den­ten über die Unter­drü­ckung durch die Bour­geoi­sie schwa­dro­niert, ent­wi­ckelt die­ses Ambi­ente dann aber einen ganz eige­nen Charme.

In die­ses Thea­ter tritt dann wenig spä­ter ein Mar­xist und möchte eine Antrags­dis­kus­sion mit den Wor­ten been­den: Die Klas­sen­ge­sell­schaft ist ein Fakt! Das heißt natür­lich nichts ande­res als: Meine Posi­tion ist alter­na­tiv­los, wobei er das so ver­mut­lich nicht gesagt haben wol­len würde. Kurz ringe ich des­halb mit dem Gedan­ken der Kon­fron­ta­tion. Argu­mente gegen den his­to­ri­schen Mate­ria­lis­mus gibt es genug, und auch die Klas­sen­ge­sell­schaft ist in Zei­ten der mil­lieu­ba­sier­ten Iden­ti­fi­ka­tion und Ero­sion pro­le­ta­ri­scher Lebens­wel­ten alles andere als faktisch.

Ich hole mir dann aber doch nur einen Kaf­fee, es nützt ja alles nichts. Die Tasse kos­tet stolze zwei Euro, über­haupt sind die Getränke auf dem Kon­gress alle­samt sehr teuer. Ver­mut­lich um die Lei­den der Pro­duk­ti­ons­kräfte durch die Ent­frem­dung von ihren Erzeug­nis­sen zu lin­dern. Viel­leicht hatte man aber auch ein­fach keine Zeit, güns­ti­ges Cate­ring zu bestel­len. So ent­steht zumin­dest auf dem Kon­gress eine Tei­lung in Buf­fet­bour­geoi­sie und Mit­bring­pro­le­ta­riat, die dem Klas­sen­kämp­fer auf der Bühne gefal­len würde. Und da ich unter all den Stu­den­ten als Arbeit­neh­mer mit gere­gel­tem Ein­kom­men bereits zum Groß­ka­pi­tal gehöre, kaufe ich gleich noch eine Packung Nürn­ber­ger Leb­ku­chen für 8,50 Euro dazu. Was soll der Geiz, man lebt nur einmal.

Apro­pos Geiz: Man geizt hier nicht mit mora­li­schen Urtei­len. Beson­ders mora­lin­sauer wird es bei einem Gen­der­thema, bei dem ein prag­ma­ti­scher Genosse doch anmahnt, die Welt nicht in schwarz und weiß zu spal­ten, son­dern auch Grau­zo­nen zuzu­las­sen. Eine ange­strengt wir­kende Frau stapft umge­hend ans Mikro und zetert in den Saal, die Welt sei zwar nicht schwarz und weiß, aber trotz­dem böse. Damit ist die Debatte dann auch been­det, denn natür­lich will nie­mand dem Bösen Vor­schub leis­ten. Über­haupt gibt es Kil­ler­phra­sen im Son­der­an­ge­bot. Genosse Jun­gi­li­gens aus Mön­chen­glad­bach hat hier sogar die ulti­ma­tive BuKo-Kompilation gewagt. Mein Vor­schlag wäre kür­zer, viel­leicht: „Wir sind ein isti­scher, isti­scher und isti­scher Rich­tungs­ver­band, Nos­sen­un­nos­sen, so geht es doch nun wirk­lich nicht!“ Damit könnte man sicher den ein oder ande­ren Schlag­ab­tausch gewin­nen — wenn man nicht das Stigma des Prag­ma­ti­kers trägt.

Freund und Feind

Dass diese über­haupt nicht gerne gese­hen wer­den, sieht man spä­tes­ten beim Besuch von Sig­mar Gabriel. Der macht eigent­lich nichts ande­res als der alte Juso-Bundesvorsitzende Vogt am Tag zuvor: Er steht auf der Bühne und fin­det die Große Koali­tion gut. Trotz­dem wird jener gera­dezu lie­be­voll ver­ab­schie­det, wäh­rend man die­sen mit Spott und Ver­ach­tung über­schüt­tet. Gabriel gibt sich dabei aber uner­schüt­ter­lich und liest den Jusos die real­po­li­ti­schen Levi­ten. Im Kern zeigt sich auch hier wie­der das Pro­blem der binä­ren Tei­lung in Freund und Feinde: Gabriel behan­delt die Koali­tion wie ein Geschäft mit dem poli­ti­schen Geg­ner, für viele Jusos aber ist sie der Ver­rat an den poli­ti­schen Feind.

Das ist wohl ein grund­le­gen­des Pro­blem: Im Klas­sen­kampf gibt es kei­nen sport­li­chen Kon­tra­hent, son­dern nur feind­li­che Unter­drü­cker. Viel­leicht ist das beschlos­sene Pro­gramm auch des­halb so nega­tiv: Es will alles mög­li­che bekämp­fen, abschaf­fen, auf­bre­chen oder über­win­den. Das alles aber nicht etwa wort­ge­wal­tig und mit dem Pathos eines poli­ti­schen Mani­fests, son­dern sehr im Fach­jar­gon beschränkt und mit der bei­läu­fi­gen Aggres­si­vi­tät einer zer­brö­seln­den Ehe. Als ob der Autor beim Schrei­ben schlechte Laune gehabt hat.

Pas­sen­der­weise soll kurze Zeit spä­ter die Ehe abge­schafft wer­den, sie sei ein patri­ar­cha­li­sches Kon­strukt. Meine stumme Frage, ob das auch für die Homo­ehe zweier Frauen gelte, wird nicht beant­wor­tet. Es scheint aber, dass man die Homo­ehe trotz­dem ein­füh­ren will, damit man sie nach­her mit allen ande­ren Ehe­for­men abschaf­fen kann. Ähn­li­ches gilt für die Frau­en­quote, die man natür­lich will, obwohl man auch gleich­zei­tig soziale Geschlech­ter­kon­struk­tio­nen über­win­den möchte. Auf Nach­frage werde ich aber auf­ge­klärt: Man möchte erst die Quote und dann die Ent­schlecht­li­chung. Das Wort gibt es nicht, ich habe es mir gerade aus­ge­dacht, aber es passt so schön in den sozio­lo­gi­schen Wort­zir­kus, der sich Antrags­de­batte nennt. Der Ein­wand aller­dings, dass es ja nun wenig sinn­voll sei, wenn man bei­spiels­weise Lego­steine erst gleich­mä­ßig nach Far­ben ver­teilt, nur um sie nach­her alle weiß zu lackie­ren, wird nicht ernst genom­men. War er auch nicht gemeint, ich halte die weib­li­che Quote prin­zi­pi­ell für eine gute Sache. Trotz­dem bin ich immer wie­der über­rascht, wie wenig Humor bei sol­chen The­men erlaubt ist. Aber viel­leicht darf man in einer bösen Welt auch ein­fach keine Witze machen.

Dabei könnte auch der Bun­des­kon­gress mit einer Quote ein Stück gerech­ter wer­den: Durch Regio­nal­pro­porz bei Antrags­be­schlüs­sen zum Bei­spiel. Oder durch Strö­mungs­quo­tie­rung im Vor­stand, wie es ja bei der grü­nen Dop­pel­spitze der Fall ist. Das würde aber ver­mut­lich nie­mals frei­wil­lig beschlos­sen wer­den, weil hier einer der ältes­ten sozia­len Mecha­nis­men der Mensch­heits­ge­schichte greift: Macht­er­halt. Denn so obrig­keits­kri­tisch und anti­hier­ar­chisch man sich auf dem Kon­gress gibt — die Regio­nal­fürs­ten der Jung­so­zia­lis­ten sind Platz­hir­sche mit eisen­har­ten Man­schet­ten. Ihre Macht­po­li­tik steht dem inner­par­tei­li­chen Rän­ke­spiel in nichts nach. Mit wel­chen per­fi­den Tricks auch auf dem Bun­des­kon­gress Mehr­hei­ten orga­ni­siert und ver­tei­digt wer­den, hat der Genosse Yan­nick Reu­ter unlängst in einem Blog­bei­trag gemut­maßt: Über­vor­tei­lun­gen, Abspra­chen, Sat­zungs­tricks bis hin zu tech­ni­scher Sabotage.

Es ist natür­lich schwer, hier juris­tisch ein­wand­frei eine tat­säch­li­che Absicht nach­zu­wei­sen, das gelänge ver­mut­lich nur mit kri­mi­na­lis­ti­schen Mit­teln. Trotz­dem ist es auf­fäl­lig, wie viele sol­cher Ein­zel­hei­ten sich zu einem Gan­zen fügen, und wie deut­lich diese Ein­zel­hei­ten von den unter­schied­lichs­ten Men­schen wahr­ge­nom­men wer­den. Der Genosse Reu­ter bei­spiels­weise ver­wei­gert sich aus­drück­lich der Strö­mungs­po­li­tik und sym­pa­thi­siert mit kei­ner Frak­tion, beob­ach­tet das ärm­li­che Schau­spiel aber trotz­dem (oder des­we­gen) mit Schaudern.

Spricht man die Leute dar­auf an, wird weit­ge­hend abge­wie­gelt. Es gehe aus­schließ­lich um Inhalte, man müsse doch fair blei­ben und so wei­ter. Ich frage mich, ob das an tat­säch­li­cher Über­zeu­gung, sim­pler Nai­vi­tät oder geris­se­ner Ver­schla­gen­heit liegt. Viel­leicht ist es aber auch nur eine Form von Betriebs­blind­heit, die das eigene Han­deln nur noch unzu­rei­chend reflek­tiert. Der Dele­ga­ti­ons­lei­ter von NRW zum Bei­spiel hat eine sehr raum­grei­fende Per­sön­lich­keit und ist sehr von sei­nen poli­ti­schen Qua­li­tä­ten über­zeugt. Viel­leicht ist das der Grund, wes­halb er Ein­wände und Zwei­fel von außer­halb gerne mit jovia­ler Geste weg­we­delt. Die Über­zeu­gung hilft ihm jeden­falls dabei, vor drei­hun­dert Dele­gier­ten sturz­be­trun­ken auf die Bühne zu schlen­dern und Tri­via­li­tä­ten über den schei­den­den Vor­sit­zen­den zu erzäh­len. Das muss man kön­nen, und das muss man wollen.

Der Sozia­lis­mus, ein Insiderwitz

An die­sem sams­tag­abend­li­chen Pro­gramm­punkt fin­det ohne­hin eine sym­bo­li­sche Ver­dich­tung statt, von der man als Jour­na­list nur träu­men kann. Es wird fast der gesamte Bun­des­vor­stand ent­las­sen und jeder ein­zelne Abschied durch interne Anek­do­ten, Ein­spiel­film­chen oder Musik gefei­ert. Die ganze Zere­mo­nie dau­ert geschla­gene drei Stun­den, bis um 23.00 Uhr schließ­lich der schleswig-holsteinische Lan­des­chef Ralf Stegner auf die Bühne tritt, um eine halb­stün­dige Abschieds­lau­da­tio auf Sascha Vogt zu hal­ten. Zu die­sem Zeit­punkt sind bereits ein Groß­teil der Anwe­sen­den ernst­haft ver­är­gert, weil sie als ein­fa­che Dele­gierte die meis­ten Geschich­ten und Per­so­nen kaum oder gar nicht ken­nen und den Kon­gress eigent­lich seit 20.00 Uhr beim Ver­bands­fest aus­klin­gen las­sen woll­ten. Aber die Bun­des­funk­tio­näre krei­sen im Geiste um sich selbst. Nur so ist es zu erklä­ren, dass man rund 200 Außen­ste­hen­den den Abend ver­saut, indem man einem drei­ein­halb­stün­di­gen Insi­der­witz erzählt.

So steigt die Feier erst um Mit­ter­nacht, was den nächs­ten Tag nicht unbe­dingt ein­fa­cher macht. Kurz vor Schluss wird näm­lich noch ein­mal der Geist von Rosa Luxem­burg her­auf­be­schwo­ren, die laut Antrag­stel­le­rin auch noch knapp 100 Jahre nach ihrem Tod zeit­ge­mäße Ant­wor­ten für die Pro­bleme des 21. Jahr­hun­derts bie­ten soll: Man beschließt mit viel gen­der­theo­re­ti­schem Brim­bo­rium die Teil­nahme am Frau­en­kampf­tag. Eine Genos­sin aus Müns­ter äußert im klei­nen Kreis die Hoff­nung, es könnte dabei ja viel­leicht auch um Schlamm­cat­chen gehen, wird dafür aber pflicht­be­wusst mit einem Grin­sen kritisiert.

Schließ­lich ist es geschafft: Der Kon­gress hat ein Ende, der Kapi­ta­lis­mus bald hof­fent­lich auch und man fährt müde in die jewei­lige Hei­mat zurück. Beschlos­sen wurde eini­ges, obwohl die Mehr­hei­ten fast immer ent­lang der Strö­mungs­fron­ten ver­lie­fen und eine inte­gre linke Poli­tik natür­lich anders aus­sieht. Es bleibt zum Bei­spiel offen, wie die Über­win­dung der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­weise mit der zeit­gleich erho­be­nen For­de­rung nach „Smart­pho­nes für alle“ ver­bun­den wer­den kann. Es bleibt offen, wie sich die For­de­rung nach Gleich­heit und Inklu­sion mit der Iso­la­tion eines knap­pen Drit­tels der Dele­ga­tion ver­trägt. Und natür­lich bleibt es offen, wie man nach drei Tagen im Sozia­lis­ten­zir­kus frei­mü­tig bei McDo­nalds ein­keh­ren kann. Doch das sind Fra­gen, die sich die meis­ten Dele­gier­ten nicht stel­len. Nicht heute, man will ja erst „Mor­gen links leben“.

Ich per­sön­lich beiße am Sonn­tag­abend jeden­falls herz­haft in mei­nen Bur­ger, ich habe ja gegen die Abschaf­fung des Kapi­ta­lis­mus gestimmt. Am genüss­li­chen Mamp­fen der ande­ren glaube ich erken­nen zu kön­nen, dass es vie­len gar nicht so Unrecht ist, wenn der Kapi­ta­lis­mus noch ein paar Tage durch­hält. Im Sozia­lis­mus gibt es sicher kei­nen Big Tasty.

Beim Ent­sor­gen der Dele­gier­ten­un­ter­la­gen nehme ich mir aber trotz­dem fest vor, in einem Jahr mal nach­zu­schauen, was aus den gan­zen Anträ­gen gewor­den ist. Ver­mut­lich nichts, so war es auch in den ver­gan­ge­nen Jah­ren. Den ein­zig nen­nens­wer­ten Mehr­wert für die Gesell­schaft leis­tet der Juso-Bundesverband im Nach­wuchs­be­reich: Die meis­ten Funk­tio­näre wer­den durch Seil­schaf­ten in irgend­wel­che Posi­tio­nen gehievt und ret­ten damit nicht sel­ten ihre brü­chige Bio­gra­fie. Auch Johanna Ueker­mann wird wohl am Ende ihrer Juso-Karriere in irgend­ei­nem Par­tei­amt lan­den, so wie Vogt und die meis­ten Juso-Vorsitzenden vor ihm. Ein Genosse bemerkte am Wochen­ende dazu zynisch, dass sei im Grunde doch im Sinne der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­wohl­fahrt: Men­schen zu hel­fen, die auf dem Arbeits­markt Pro­bleme haben. Aber auch wenn man freund­li­cher dar­über reden will, regt sich Zwei­fel: Wie nah am Volk bleibt eine Volks­par­tei, wenn sich ihre Funk­tio­näre aus­schließ­lich aus den eige­nen Kader­schmie­den rekru­tie­ren? Und wie zukunfts­si­cher ist die Nach­wuchs­ar­beit einer über­al­ter­ten Par­tei, wenn jedes Jung­mit­glied auto­ma­tisch einem Ver­band sozia­lis­ti­scher Hard­li­ner zuge­ord­net wird?

Im roten Salon

Für zwei Drit­tel der Jusos stellt sich die Frage nicht. Je enger man mit der eige­nen Ideo­lo­gie ver­floch­ten ist, desto weni­ger spielt die Real­po­li­tik eine Rolle. Im Grunde ist es wohl ein Spiel: Wer die Regeln kennt, wer die Spra­che spricht, wer die Kon­takte pflegt, der gewinnt am Ende ein Amt, eine Funk­tion oder zumin­dest Aner­ken­nung in den eige­nen Rei­hen. Der ein­gangs zitierte Salon­bol­sche­wist, den Kurt Tucholsky in sei­nen Wer­ken gerne ver­spot­tet, fin­det man hier in bes­ter Defi­ni­tion des Duden: Als jemand, der sich für die Theo­rien des Bol­sche­wis­mus begeis­tert, sie aber in der Pra­xis nur dann ver­tritt, wenn er dadurch nicht auf per­sön­li­che Vor­teile ver­zich­ten muss.

Aber so ver­bit­tert das alles auch klin­gen mag: Die echte und gute sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Poli­tik für junge Men­schen wird vor allem an der Basis gemacht. In den Unter­be­zir­ken, den Stadt­be­zir­ken und den Arbeits­ge­mein­schaf­ten ist man glück­li­cher­weise weit ent­fernt von den roten Paro­len aus einer Zeit, in der man die Ver­damm­ten die­ser Erde noch tat­säch­lich zum Hun­gern gezwun­gen hat. Das beru­higt mich nachhaltig.

Und so bleibt vom Bun­des­kon­gress die Erin­ne­rung an eine über­ra­schend reak­tio­näre Ver­an­stal­tung, mit wenig Rele­vanz für die Men­schen und das Mor­gen. Man hat die Gesell­schaft mit 150 Jahre alten Theo­rien erklärt, man hat Unge­rech­tig­keit in schwie­ri­gen Wor­ten beschimpft, man hat sich auf Auto­ri­tä­ten aus den ver­gan­ge­nen zwei Jahr­hun­der­ten beru­fen und man hat eine Arbei­ter­folk­lore gefei­ert, die schon in den Acht­zi­gern anfing zu ros­ten. Immer wie­der wurde das Man­tra des istischen-istischen-istischen Rich­tungs­ver­bands her­un­ter­ge­be­tet und damit um bil­li­gen Applaus gebuhlt. Immer wie­der wur­den kom­pli­zierte Wör­ter auf­ein­an­der getürmt, mit denen man die Welt in letz­ter Instanz erklä­ren will.

Das beschlos­sene Pro­gramm ist des­halb auch keine akute Hilfe für Hilfs­be­dürf­tige, keine kon­krete Gesell­schafts­ana­lyse, son­dern ein nost­al­gi­sches Wol­ken­ku­ckucks­heim vol­ler aka­de­mi­scher Absichts­er­klä­run­gen, ein kol­lek­ti­ves „Man müsste mal“ und „So geht es nicht“, dabei aber so weit ent­fernt vom All­tag der jun­gen Men­schen wie die Sexu­al­mo­ral der römi­schen Kardinalskurie.

Wobei man in Rom mitt­ler­weile pro­gres­si­ver denkt. Zwar haben die Dele­gier­ten auch die­ses Mal am Ende flei­ßig gesun­gen: Es hilft uns kein Gott, kein Kai­ser noch Tri­bun — der bes­sere Kapi­ta­lis­mus­kri­ti­ker aber, so scheint es in die­sen Tagen, ist der Papst in Rom. Das muss zu den­ken geben.

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[…] der Jusos gefah­ren, dies­mal nach Bie­le­feld. Wollte ich eigent­lich nicht mehr, weil mich das letzte Mal so geär­gert hat. Außer­dem war es aus­ge­rech­net in Ost­west­fa­len, quasi die Schäl […]

by Ab nach drüben « Gorgias on 11.12.2014 at 14:17. #