C für Coldplay.
von Daniel am 05.03.2013
Jetzt also die Homoehe. Nachdem unlängst das Bundesverfassungsgericht mit einem sehr eindeutigen Urteil die Adoptionsrechte für homosexuelle Eltern gestärkt hat, will die Union nun „in Sachen Gleichstellung beweglicher werden“. Nach Wehrpflichtwende, Mindestlohnwende und Energiewendewende steht der CDU nun also die Homowende ins Parteihaus. Obwohl man in Berlin und München ab– und wieder anwiegelt, ist das nur der nächste Schritt in einer Reihe von Winkelzügen, mit der die Bundeskanzlerin ihrer Partei die größtmögliche Wählerschaft verschaffen möchte. Wahlen werden in der Mitte gewonnen, das weiß man auf beiden Seiten des politischen Spektrums.
Der themenorientierte, aufgeklärte und freiheitlich denkende Mensch ist nun geneigt zu lächeln, da die Homoehe für ihn eine gute Sache ist — ganz gleich, welche Partei nun einen Änderungseintrag ins Parlament einbringt. Er mag hinzufügen: Umso besser wenn es die Koalitionsparteien sind, dann wird der Antrag besonders schnell beschlossen.
Dieses Lächeln gefriert allerdings, wenn plötzlich die soziale Kälte dieser Kehrtwende ins Bewusstsein kriecht. Anders als Energie– oder Lohnpolitik berührt die Frage nach der Homoehe nämlich etwas, das eigentlich nicht Teil der parteilichen Machtspielchen sein sollte: Die Menschenwürde.
Bei der Energiewende konnte noch gutmütig unterstellt werden, dass erst angesichts der dramatischen Bilder aus Fukushima das ganze Potential atomaren Risikos bewusst wurde. Ein zweites Tschernobyl, allerdings in einem der modernsten Industrieländer unserer Erde. Da musste selbst Herr Keitel vom BDI schlucken.
Das Umdenken — andere sagen Einknicken — bei Wehrpflicht und Mindestlohn dagegen waren vollends taktische Manöver. Ganz in der Tradition des alten Adenauers ist der Bundeskanzlerin das Geschwätz von gestern herzlich gleichgültig, wenn man damit dem Gegner den Wind aus den roten Segeln nehmen kann. Merkel ist wie keine andere Politikerin eine ideologiebefreite Strategin, ihr politisches Handeln scheint nahezu ausschließlich pragmatisch kalkuliert: Welches Thema bringt wie viele Wählerstimmen, hat welche Gegner und ist wie gut der eigenen Partei vermittelbar?
Was manche als schleichende Sozialdemokratisierung der CDU bezeichnen, ist in Wahrheit nichts anderes als die kalkulierte Massentauglichkeit. Die bürgerliche Volkspartei wird zur Amöbe, die ihre Gegner thematisch umfließt. Das Wahlprogram gleicht in so einem Fall dem perfekten Popsong: Festgeschraubt an der Spitze der Charts, dabei aber seicht und irgendwie charakterlos. Eine Melange des Gefälligen. Das C von CDU steht dann für Coldplay, im doppelten Sinne.
Denn diese flexible Haltung mag bei eher abstrakten Themen wie Energiewende, Wehrpflicht, Steuerpolitik oder ähnlichem eine strategische Berechtigung haben. Politik ist nunmal Krieg mit anderen Mitteln, und dort und in der Liebe ist bekanntlich alles erlaubt (außer gleichgeschlechtliche Eheschließungen).
Bei Fragen der Menschenwürde offenbart dieses Kalkül jedoch eine soziale Kälte, die umso perfider ist, weil man sie im Gewand der wertkonservativen Tugenden kultiviert. Denn um nichts weniger geht es bei der gleichgeschlechtlichen Ehe: Um die Menschenwürde und den Anspruch auf prinzipienhafte Gleichheit aller Menschen trotz faktischer Unterschiede. Es geht um nichts weniger als die Frage, ob alle Menschen in Deutschland das gleiche Recht auf eine staatlich institutionalisierte Familie haben. Unabhängig ihrer sexuellen Präferenz, die in den wenigsten Fällen eine freie Entscheidung ist und deshalb als Wesensmerkmal jedes Einzelnen gelten muss.
Die einzigen ernsthaften Argumente gegen eine solche Gleichstellung sind religiöser Natur: Die Ehe als christliches Sakrament, mit eindeutigen biblischen Vorgaben. Zwar wird diese Auffassung häufig mit anderen sozialen, finanziellen oder biologischen Aspekten bemäntelt, aber letzten Endes argumentieren die Gegner der Homoehe immer entlang dieser christlichen Kulturtradition: Mutter und Vater seien gut für das Kind, jede andere Kombination schlecht. Hier wären die traditionellen Werte unserer Kultur bedroht, heißt es dann allenthalben.
Dass diese Auffassung falsch ist und schnell widerlegt werden kann, belegt unter anderem eine Studie des Justizministeriums über Kinder aus gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Regenbogenfamilie ist nicht schlechter als jede andere Familie, ihr wird sogar bescheinigt, das Kind sexuell reflektierter zu erziehen. Angesichts fortschreitender Geschlechtergerechtigkeit und immer besseren sexuellen Entfaltungsmöglichkeiten kann das nur ein Vorteil sein. Ein Nachteil ist es nur dann, wenn man diese Entwicklung ablehnt. Deshalb weht der Wind auch bei einem Großteil von CDU und CSU aus dieser Richtung, selbst wenn einige moderne Parteimitglieder das nicht gerne sehen und auch viele aufgeklärte Christen diesen Standpunkt ihrer Kirche ganz und gar nicht schätzen.
In einem zeitgemäßen, weltlichen Staat ist das christliche Sakrament nämlich nur ein Teilaspekt von Ehe. Und zwar für jene, denen unsere Religionsfreiheit die Ausübung ihres Glaubens gestattet. Für den Rest der Bevölkerung ist sie schlichtweg das rechtlich organisierte Zusammenleben zweier Menschen. Mit steuerlichen Vorteilen, da der Staat unterm Strich von dieser Lebensform profitiert. Im Grunde ist sich der deutsche Souverän da auch ziemlich einig: Gleiches Recht für alle, auch bei der Ehe.
Angela Merkel hat als ostdeutsche Protestantin mit solcherart religiös umwölkten Argumentationen ohnehin nur wenig am Hut. Insofern teilt sie auch die traditionalistische Überhöhung des Eheideals nicht, das sich ihre christlich motivierten Gefolgsleute aus der CSU so gerne aufs Banner schreiben. Das zeigen allein ihre ganz persönlichen Familienverhältnisse.
Dass die Kanzlerin sich nun der Meinung eines Großteils der deutschen Bürgerschaft anschließt, ist deshalb aber noch lange kein Versuch an Modernität. Es ist auch kein korrigierender Akt der Menschenwürde, wie es die offizielle Parteirhetorik angesichts des gerichtlichen Urteils verpackt. Niemand wird ernsthaft behaupten können, dass man sich im Bundeskanzleramt erst über die Rechtslage im Klaren sein musste, um bei der Gleichberechtigung positiv Stellung zu beziehen. Es ist nichts mehr — und auch nichts weniger — als ein taktischer Zug angesichts der politischen Wetterlage.
Und das ist der Punkt, an dem die soziale Kälte ins Bewusstsein bricht und das Lächeln des aufgeklärten Bürgers gefriert. Denn hier wird deutlich, dass in dieser Rechnung das universelle Recht des Menschen auf Gleichheit und Freiheit nur eine strategischen Ware ist, mit der um die Mehrheit geschachert wird. Die Gleichheit der Bürger wird von der Kanzlerin nur dann politisch gefordert, wenn damit Wählerstimmen gewonnen werden. Und nur deshalb, weil die Regierung dazu vom Bundesverfassungsgericht in mittlerweile fünf Urteilen schlechterdings verdonnert wurde.
Das Gericht sah bei all diesen Urteilen die betroffenen Menschen in ihrer Würde verletzt. Es kann deshalb nur fair sein, wenn sich die Bundesregierung durch diese Kehrtwende selbst entwürdigt.
Never an honest word
And that was when I ruled the world