Ab nach drüben

von Daniel am 11.12.2014

Ich muss jetzt zur CDU. Hat die Genos­sin aus Thü­rin­gen gesagt. Ich will zwar nicht, aber die junge Frau war sehr deut­lich: Wenn Euch die Jusos zu links sind, dann geht doch in die Junge Union!“

Frü­her hat man die unbe­que­men Leute auch immer nach drü­ben“ schi­cken wol­len, aber das war ja eben­falls keine Lösung. Immer­hin habe ich ein pas­sen­des Zitat von einem Uni­ons­po­li­ti­ker gefun­den, mit dem ich die­sen Text begin­nen kann: „Die Qua­li­tät und Sub­stanz einer leben­di­gen Demo­kra­tie ist daran zu erken­nen, wie sie mit Min­der­hei­ten umgeht.“
Das hat Nor­bert Lam­mert gesagt, in einer Rede als Schirm­herr des Genç-Preises für deutsch-türkische Ver­söh­nung. Eigent­lich ist das Zitat von Mahatma Ghandi, und der spricht von Zivi­li­sa­tion statt von Demo­kra­tie, aber das wäre etwas hoch gegrif­fen. Demo­kra­tie und auch Ver­söh­nung pas­sen schon ganz gut.

Der Reihe nach. Ich bin mal wie­der auf einen Bun­des­kon­gress der Jusos gefah­ren, dies­mal nach Bie­le­feld. Wollte ich eigent­lich nicht mehr, weil mich das letzte Mal so geär­gert hat. Außer­dem war es aus­ge­rech­net in Ost­west­fa­len, quasi die Schäl Sick des Müns­ter­lands. Aber da wir Rea­los auf Bun­des­kon­gres­sen immer einen schwe­ren Stand haben, man viele span­nende Leute trifft und auch die große NRW-Delegation haupt­säch­lich aus net­ten Men­schen besteht, bin ich als Gast angereist.

Und ganz unter uns: So schlimm ist Ost­west­fa­len gar nicht, auch wenn es zu zwei Drit­teln aus Him­mels­rich­tun­gen besteht. Auf Roter Erde lässt sich außer­dem gut über linke Poli­tik dis­ku­tie­ren. Auch der Bie­le­fel­der Stadt­plan zeigt sich äußerst sozi­al­de­mo­kra­tisch: Die große Kon­gress­halle am Willy-Brandt-Platz, ein­ge­rahmt von August-Bebel– und Friedrich-Ebert-Straße.

Nun war aber auch die­ses Jahr schnell klar: Rich­tige Debat­ten gab es keine, die Jusos haben sich nur ein wei­te­res Mal dem eige­nen Links­sein ver­ge­wis­sert und am Ende ein biss­chen gesun­gen. Das Ergeb­nis und auch das Abstim­mungs­ver­hal­ten waren mit etwas Hin­ter­grund­wis­sen vor­her­seh­bar: Die real­po­li­ti­schen Lan­des­ver­bände Ham­burg und Baden-Württemberg haben jede Abstim­mung ver­lo­ren, und auch die prag­ma­ti­sche Frak­tion aus NRW wurde regel­mä­ßig nie­der­ge­stimmt. Das Beschluss­buch ist des­halb auch kein wirk­li­cher Auf­ga­ben­zet­tel gewor­den, son­dern wie­der mal eine Art sozia­lis­ti­sches Gesin­nungs­pro­to­koll, für das die Tages­po­li­tik nur Stich­wort­ge­ber ist. Alles also wie gehabt.

Letz­tes Jahr habe ich mich dar­über geär­gert. Die­ses Jahr über­wiegt die Neu­gier: Warum ist das so? Was treibt die Leute an? Denn einer­seits ver­trägt sich die Tyran­nei der Mehr­heit natür­lich über­haupt nicht mit den eige­nen Wer­ten von Demo­kra­tie und Min­der­hei­ten­schutz. Und ande­rer­seits wird wohl auch dem letz­ten Naiv­ling klar sein, dass die Bun­des­re­gie­rung nun trotz Beschluss weder den Ver­fas­sungs­schutz abschafft (Antrag I 1), noch sämt­li­che Dro­gen lega­li­siert (Antrag P 8). Auch die Beschlüsse zu Israel oder Russ­land dürfte man im Aus­wär­ti­gen Amt kaum als Arbeits­grund­lage in Betracht zie­hen. Es wäre also ver­mut­lich halb so wild gewe­sen, wenn man den Rea­los hier und da die Hand gereicht hätte.
Hat man aber nicht.

Für mich warf das am Wochen­ende zwei Fra­gen auf:
1. Stört die­ser Bruch zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit nie­man­den?
2. Warum tut man sich das als Realo über­haupt noch an?

Die erste Ant­wort ist lang, die zweite dafür erfri­schend kurz.

Anspruch und Wirklichkeit

Die Süd­deut­sche Zei­tung hat den Bun­des­kon­gress eine „Linke Par­al­lel­welt“ genannt, und das trifft es ganz ohne Häme: Es ist ein sozia­ler Schutz­raum, in dem man sich sei­ner eige­nen Iden­ti­tät ver­ge­wis­sert. Die Jusos sind für viele keine poli­ti­sche Bewe­gung, son­dern eine Jugend­kul­tur; also tat­säch­lich eine Par­al­lel­welt, in der die Regeln der „Alten Säcke“, wie die Bun­des­vor­sit­zende die Koali­ti­ons­po­li­ti­ker immer wie­der nannte, außer Kraft gesetzt wer­den. Im Jar­gon der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen For­schung heißt das: Eine poli­ti­sche Sub­kul­tur, weil die beste­hende Kul­tur der Älte­ren den Her­an­wach­sen­den in ihrer Ado­les­zenz keine pas­sen­den Aus­drucks­mög­lich­kei­ten für das emp­fun­dene Lebens­ge­fühl anbietet.

Wenn man neue­ren Arbei­ten zu mei­ner Gene­ra­tion Glau­ben schenkt, ist die­ses Lebens­ge­fühl vor allem geprägt durch Zukunfts­fra­gen und Unsi­cher­heit – aus­ge­löst durch die soziale Drift und die Ero­sion gesell­schaft­li­cher Insti­tu­tio­nen, die frü­he­ren Gene­ra­tio­nen noch Sicher­heit ver­spre­chen konnten.

Der SPD ist die­ses Gefühl nicht fremd. Als indus­tri­elle und demo­kra­ti­sche Revo­lu­tio­nen die Gesell­schaft im 19. Jahr­hun­dert auf den Kopf gestellt hat­ten und Bebel, Las­salle und Lieb­knecht ihre ers­ten Reden schwan­gen, war die Zukunfts­angst eine ähn­li­che – wenn auch auf sehr viel weni­ger Wohl­stand und soziale Sicher­heit gegründet.

Eine mög­li­che Ant­wort war damals wie heute die sozia­lis­ti­sche Uto­pie: Wenn man sich Karl Kau­tskys Arbei­ten zur Welt von Mor­gen anschaut, die Ende des 19. Jahr­hun­derts das Pro­le­ta­riat beweg­ten, dann fühlt man sich an die all­jähr­li­chen Beschluss­bü­cher der Jusos erin­nert: Man beschäf­tigt sich inten­siv mit der Zukunft und der wün­schens­wer­ten Gesell­schaft, spricht aber höchs­tens abs­trakt über den stei­ni­gen Weg dort­hin, mit all sei­nen Kom­pro­mis­sen, Rück­schlä­gen und Win­kel­zü­gen. Für viele Jusos ist der Bun­des­kon­gress genau die­ser gemein­same Traum von der Zukunft – und auch von der grim­men Gegen­wart, aus der man zur Sonne, zur Frei­heit strebt.

Wenn man die Unbarm­her­zig­keit und Aggres­si­vi­tät man­cher Dele­gier­ten gegen­über Anders­den­ken­den erklä­ren möchte, muss man genau hier ansetzen.

Natür­lich bestrei­tet auch der prag­ma­ti­sche Flü­gel nicht das Leid der Flücht­linge, den Ter­ror des Krie­ges, die Armut der Men­schen und die soziale Ver­ant­wor­tung der Gesell­schaft. Er hat aber die unan­ge­nehme Ange­wohn­heit, bei der Prä­sen­ta­tion der ide­al­ty­pi­schen Zukunft den Pro­jek­tor aus­zu­schal­ten und den Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hang zu durch­sto­ßen, wie es bei Adorno so schön heißt.

Nur so ist es zu erklä­ren, dass bei aller Rede von Tole­ranz, Offen­heit, Plu­ra­li­tät, Demo­kra­tie und Min­der­hei­ten­schutz der tat­säch­li­chen Realo-Minderheit im Ple­num mit gna­den­lo­ser Härte die Daseins­be­rech­ti­gung abge­spro­chen wird: Man sieht seine selbst­ge­wählte Iden­ti­tät als sozia­lis­ti­scher Revo­lu­tio­när bedroht, und das im inners­ten Hei­lig­tum der eige­nen Kul­tur. Genau diese Exis­tenz­angst lässt ansons­ten fried­li­che und nette Men­schen am Podium plötz­lich zu schäu­men­den Dem­ago­gen mutie­ren, deren Inbrunst jedem pro­mo­vier­ten Rhein­län­der zur Ehre gereicht.

Revo­lu­tion und Reform

Dabei ist die­ser Dis­put bei den Jusos so alt wie die Par­tei selbst. Seit ihrer Grün­dung strei­ten in der SPD Refor­mis­ten und Revo­lu­tio­näre mit­ein­an­der: Bern­stein gegen Kau­tsky, Schei­de­mann gegen Lieb­knecht junior und spä­ter ja auch irgend­wie Schrö­der gegen Lafon­taine. Das ist Teil der His­to­rie die­ser Par­tei und auch ihrer Gegenwart.

Ich habe aller­dings das Gefühl, dass bei vie­len Jusos das Bewusst­sein für diese gewach­sene Dyna­mik fehlt. Seit der soge­nann­ten Links­wende im Jahr 1969 defi­nie­ren die jewei­li­gen Macht­ha­ber ihre Orga­ni­sa­tion als sozia­lis­ti­schen Rich­tungs­ver­band am lin­ken Rand der Par­tei – und dul­den kei­nen Widerspruch.

Das führt natür­lich zu einem Pro­blem, denn die Jusos sind ja eigent­lich eine breit­ge­fä­cherte Jugend­or­ga­ni­sa­tion. Nicht alle jun­gen Men­schen bis 35 tre­ten in die SPD ein, weil sie Mar­xis­ten sind. Oder Sozia­lis­ten. Oder beson­ders linke Sozi­al­de­mo­kra­ten. Man­che tre­ten auch wegen Ger­hard Schrö­der ein, wegen Peer Stein­brück, Olaf Scholz oder Hel­mut Schmidt. Und deren poli­ti­sche Über­zeu­gung ist dann ganz sicher nicht dort, wo sie die sozia­lis­ti­schen Ober­häup­ter haben möchten.

Dann wird es schwer für die Neu­linge, weil Ihnen keine Mög­lich­keit der Par­ti­zi­pa­tion gebo­ten wird. Aus die­sem Grund hatte sich sei­ner­zeit die Prag­ma­ti­sche Linke gegrün­det, um zumin­dest gemein­schaft­lich diese rand­stän­di­gen Inter­es­sen zu ver­tre­ten. Da aber die­ser Ansatz den Gleich­schritt vom sozia­lis­ti­schen Rich­tungs­ver­band stört, hat die PL und auch wesens­ver­wandte Poli­tik aus Baden-Württemberg seit jeher einen schwe­ren Stand.

In mei­nen Augen liegt genau hier auch der Grund für die Über­al­te­rung der SPD. Die Jusos funk­tio­nie­ren nicht mehr als Jugend­or­ga­ni­sa­tion, son­dern sind nur noch das groß­zü­gig finan­zierte Vehi­kel einer jun­gen sozia­lis­ti­schen Cli­que – die natür­lich fel­sen­fest von der Recht­mä­ßig­keit ihrer Poli­tik über­zeugt ist und die SPD am liebs­ten wie­der in die Zei­ten vor Godes­berg zurück­trei­ben würde. Das ändert aber natür­lich nichts an den Tat­sa­chen: Eine Par­tei­ju­gend kann kein Rich­tungs­ver­band sein. Man ver­eint ent­we­der die gesamte poli­ti­sche Band­breite sei­nes demo­gra­fi­schen Seg­ments, oder man schließt sich als spe­zi­fi­sche Inter­es­sens­gruppe zusam­men, so wie es in der Par­tei einige gibt: Das Forum DL21, den See­hei­mer Kreis, das Netz­werk Ber­lin, frü­her die Kanal­ar­bei­ter und neu­er­dings die Mag­de­bur­ger Plattform.

Alle Jahre wie­der: Der Richtungsstreit

Letz­tere war am Sams­tag dann auch Aus­lö­ser des all­jähr­li­chen Rich­tungs­streits, der regel­mä­ßig zu Hass­ti­ra­den gegen­über der Rea­lo­frak­tion führt. Vor­aus­ge­gan­gen war ein offe­nes Bekennt­nis auf Bun­des­ebene zur Mag­de­bur­ger Platt­form, bei der sich die SPD-Linke nun orga­ni­siert. Der Bun­des­vor­stand hatte durch offi­zi­elle Kanäle dafür gewor­ben, außer­dem mit Ver­bands­mit­teln eine Fahrt zum Grün­dungs­kon­gress der Platt­form finan­ziert – sehr zum Ärger vie­ler real­po­li­ti­scher Jusos, die sich mit den Posi­tio­nen der Par­tei­lin­ken meist über­haupt nicht iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Ein Alter­na­tiv­an­ge­bot gab es nicht.

Das Argu­ment in der Debatte war dann zuge­ge­be­ner­ma­ßen ein sehr prag­ma­ti­sches: Man suche die Nähe zur Par­tei­lin­ken, weil die beschlos­se­nen Posi­tio­nen am ehes­ten mit ihr umsetz­bar sind. Das ist zwar kaum zu bestrei­ten, aber als Grund natür­lich vor­ge­scho­ben – alle Bun­des­funk­tio­näre enga­gie­ren sich bei der Platt­form, und das aus Überzeugung.

Die Debatte selbst kreiste vor allem um die Recht­mä­ßig­keit die­ser Sache. In mei­nen Augen war die wich­tigste Frage aller­dings schon beant­wor­tet: Der Bun­des­vor­stand weiß um die Viel­falt der Mit­glie­der, schert sich aber nicht darum. Er bedient kon­se­quent das eigene Kli­en­tel. Die Bun­des­vor­sit­zende Ueker­mann gehört zu den Tra­di­tio­na­lis­ten, und auch der rest­li­che Vor­stand rekru­tiert sich aus­schließ­lich aus den bei­den lin­ken Strö­mun­gen. Anders­den­kende wer­den des­halb igno­riert oder geschasst. Die PL aus NRW zum Bei­spiel wollte auf dem Kon­gress einen Info­stand orga­ni­sie­ren, um ihre Posi­tio­nen zu erklä­ren und Gesprächs­mög­lich­kei­ten abseits der Debat­ten anzu­bie­ten. Man hatte sich zu die­ser Öffent­lich­keits­ar­beit ent­schlos­sen, nach­dem auf der letz­ten Lan­des­kon­fe­renz in NRW die Strö­mungs­dy­na­mik bei­nahe die Ver­an­stal­tung gesprengt hatte. Immer­hin waren neben zahl­rei­chen Lob­by­stän­den auch der linke Par­tei­flü­gel in Form des Forums DL21 ver­tre­ten, inso­fern schien das kein Pro­blem. Der Bun­des­vor­stand lehnte aller­dings ab – mit der lapi­da­ren Erklä­rung, man habe keine Lust darauf.

Über­rascht hat es mich nicht, aber ich hatte zumin­dest einen jurist­schen Win­kel­zug erwar­tet. Statt­des­sen traf uns die offene Will­kür. Was blieb, waren ein paar Flyer – beglei­tet von hämi­schen Kom­men­ta­ren und dem Hin­weis, die Leute wür­den dann ja end­lich unsere „wah­ren Absich­ten“ erken­nen. Mir wurde in die­sem Moment klar, wie sehr sich man­che Dele­gierte in Ver­schwö­rungs­theo­rien ver­stri­cken: Hier die auf­rech­ten Revo­lu­tio­näre, dort die prag­ma­ti­schen Feinde der Frei­heit mit ihrer unhei­li­gen Agenda.

Juris­tisch mag das alles bestimmt ver­tret­bar sein, anstän­dig und red­lich ist es nicht. Die Bun­des­funk­tio­näre ver­fol­gen damit eine Poli­tik der Null­to­le­ranz, die zwar den eige­nen Inter­es­sen dient, dabei aber der eigent­li­chen Ver­ant­wor­tung nicht gerecht wird: Sie reprä­sen­tie­ren nicht die tat­säch­li­che Par­tei­ju­gend, und sie wol­len sie auch nicht reprä­sen­tie­ren. Sie wol­len einen sozia­lis­ti­schen Rich­tungs­ver­band füh­ren, in dem eine ideo­lo­gi­sche Elite über das Fort­kom­men der jun­gen SPD-Mitglieder ent­schei­det. Und das machen sie seit Jah­ren sehr erfolg­reich. Sucht man einen Grund für den stän­dig latent kri­seln­den Zustand der SPD, dann liegt das nicht unwe­sent­lich an die­sem Pro­blem: In der Jugend­or­ga­ni­sa­tion wird seit Jah­ren eine Hal­tung kul­ti­viert, die große Teile der Par­tei und ihrer Poli­tik ablehnt und verachtet.

Hin­ter den Kulissen

Aus Sicht eines neu­tra­len Par­tei­ma­na­gers müsste man die Jusos als Jugend­or­ga­ni­sa­tion also eigent­lich demon­tie­ren, weil sie nicht anstän­dig lie­fert: Der aktive Nach­wuchs ist nur eine sozia­lis­ti­sche Aus­lese, radi­ka­li­siert in sei­nen Ansich­ten und kaum ein Abbild der gesam­ten Partei.

Aber das wird natür­lich nicht gesche­hen, denn einer­seit ist der linke Flü­gel in der Par­tei durch­aus stark, und ande­rer­seits will sich nie­mand an einer der­art his­to­ri­schen Insti­tu­tion ver­he­ben. Trotz­dem: Wäre die SPD ein maro­der Fuß­ball­ver­ein, würde man sicher erst­mal die Nach­wuchs­ar­beit refor­mie­ren. Drib­bel­künste allein nüt­zen wenig, man muss auch Tore schie­ßen können.

Ich glaube aller­dings, dass sich nur wenige Bun­des­funk­tio­näre tat­säch­lich so lei­den­schaft­lich mit dem alle Jahre wie­der beschlos­se­nen Umstürz­ler­tum iden­ti­fi­zie­ren, wie sie es vor­ge­ben. Sie bedie­nen die domi­nante Frak­tion, um voran zu kom­men. Auch hier zeigt sich ein Aus­ein­an­der­tre­ten zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit: Viele haben ver­gleichs­mä­ßig gut bezahlte Refe­ren­ten­stel­len im poli­ti­schen Betrieb und exe­ku­tie­ren in die­ser Funk­tion genau jene Poli­tik, die sie auf der Bühne dann mit revo­lu­ti­ons­ro­man­ti­scher Geste verteufeln.

Man sieht das gut an der Bun­des­vor­sit­zen­den selbst: Der Arbeit­ge­ber von Johanna Ueker­mann ist Axel Schä­fer, Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter und stell­ver­tre­ten­der Frak­ti­ons­chef der SPD. Schä­fer ist zwar Mit­glied der Par­la­men­ta­ri­schen Lin­ken, hat als Teil der Regie­rungs­ko­ali­tion aber für zahl­rei­che Bun­des­wehr­ein­sätze im Aus­land votiert und außer­dem einen Antrag der Grü­nen abge­lehnt, der die Ein­be­ru­fung der berüch­tig­ten Schieds­ge­richte im Rah­men des trans­at­lan­ti­schen Frei­han­dels­ab­kom­men TTIP ver­hin­dern sollte. Das alles waren sicher gut begrün­dete Ent­schei­dun­gen – sie ste­hen aller­dings der offi­zi­el­len Juso-Rhetorik dia­me­tral ent­ge­gen. Mehr als das: Als Refe­ren­tin arbei­tet Ueker­mann ver­mut­lich an genau jenen Reden und Arti­keln, mit denen Schä­fer seine Ent­schei­dun­gen begrün­det – nur um die­ses Wahl­ver­hal­ten dann in der Presse und am Podium als „Anbie­de­rung an die soge­nannte Mitte“ zu geißeln.

Man kann aller­dings wohl davon aus­ge­hen, dass beide sich über diese Dis­kre­panz unter­hal­ten haben. Der eine wird als erfah­re­ner Par­la­men­ta­rier um die beson­dere Folk­lore der Jusos wis­sen, die andere wird als Arbeit­neh­me­rin ihren Bröt­chen­ge­ber nicht ver­är­gern wol­len. Ich finde diese Dis­kre­panz auch nicht ver­werf­lich. Als Ghost­wri­ter teile auch ich nicht immer hun­dert­pro­zen­tig die Ein­stel­lun­gen mei­ner Kun­den. In sol­chen Fäl­len ist man dann ein­fach pro­fes­sio­nel­ler Dienst­leis­ter und stellt seine per­sön­li­che Mei­nung hintan.

Der totale Sozialismus

Was mich aller­dings stört, ist der mora­li­sche Tota­li­ta­ris­mus, der sich dann auf ande­rer Ebene aus­brei­tet und durch die offi­zi­elle Linie ange­heizt wird. In der Rich­tungs­de­batte am Sams­tag wurde dann auch nicht mehr dif­fe­ren­ziert dis­ku­tiert, son­dern die rhe­to­ri­sche Sta­lin­or­gel aus­ge­packt: Die eigene Sache musste schließ­lich gegen den Feind im Innern beschützt wer­den. Ein Genosse aus Ber­lin schüt­telte dazu am Podium den Zei­ge­fin­ger und ver­sprach, den Sozia­lis­mus „bis zum letz­ten Mann gegen euch zu ver­tei­di­gen!“ In die­sem Voks­sturm der Ent­rüs­tung jagte dann auch die Frau aus Thü­rin­gen alle real­po­li­ti­schen Dis­si­den­ten zum christ­de­mo­kra­ti­schen Teufel.

Klar ging es dabei nur um die eigene jugend­kul­tu­relle Iden­ti­tät, aber im Ver­hal­ten der Leute konnte man dabei fast schon faschis­to­ide Ten­den­zen erken­nen: Eine rausch­hafte Mehr­heit ver­höhnte und ver­ach­tete die poli­ti­sche Min­der­heit. Jemand fragte allen Erns­tes, wieso aus Baden-Württemberg über­haupt Anträge kämen, weil die ja ohne­hin abge­lehnt wür­den. Ein bay­ri­scher Genosse ver­stieg sich zu der Aus­sage, man sei als Funk­tio­när ja über­haupt nicht allen Jusos ver­pflich­tet, son­dern nur dem eige­nen Wäh­ler­kli­en­tel. All das natür­lich im unge­trüb­ten Bewusst­sein, sich für demo­kra­ti­sche Frei­heit, grenz­über­grei­fende Soli­da­ri­tät und soziale Gerech­tig­keit ein­zu­set­zen. Auch hier gibt es natür­lich beson­nene Kräfte, aber die wer­den dann durch das laute Hurra des Kaders übertönt.

Wen es tat­säch­lich wun­dert, wes­halb der Sozia­lis­mus in der Geschichte fast immer zur Dik­ta­tur mutiert ist, der fin­det im auf­ge­hetz­ten Rudel­ver­hal­ten auf dem Bun­des­kon­gress zumin­dest einen klei­nen Hin­weis: Es ist die Ver­ach­tung der Andersdenkenden.

Aber auch das weiß man aus der poli­ti­schen Geschichte: Erlebte Feind­se­lig­kei­ten schwei­ßen zusam­men und för­dern den eige­nen Idea­lis­mus. Denn auch wenn man den Prag­ma­ti­kern dau­ernd vor­wirft, keine Prin­zi­pien oder wirk­lich feste Über­zeu­gun­gen zu haben: Genau hier zeigt sich der der Antrieb der real­po­li­ti­schen Frak­tion. Wes­halb sonst schreibt man in Ham­burg jedes Jahr neue Papiere? Wes­halb sonst stellt man in Baden-Württemberg uner­müd­lich Ände­rungs­an­träge? Und wes­halb sonst fährt man Jahr für Jahr auf einen Kon­gress, auf dem man nicht nur unter­le­gen ist, son­dern auch mit Häme und Hass über­schüt­tet wird? Man macht es aus dem glei­chen Grund, aus dem auch Karl Lieb­knecht sei­ner­zeit als Ein­zi­ger ohne Chance auf Erfolg gegen die Kriegs­kre­dite gestimmt hatte: Weil man die Poli­tik der Mehr­heit scheiße fin­det. Edler gespro­chen: Weil man aus tie­fer Über­zeu­gung han­delt, und sich des­halb der Masse nicht beu­gen kann.

Was tun?

Genau das ist auch die Ant­wort auf Frage Num­mer zwei, wes­halb man sich das immer noch antut: Die prag­ma­ti­sche Frak­tion muss nicht um Pos­ten oder Beschlüsse kämp­fen, son­dern – viel grund­le­gen­der – um ihre Aner­ken­nung. Schon um die Demo­kra­tie bei den Jusos leben­dig zu halten.

Man wird mit den eige­nen Posi­tion sicher nicht die Hard­li­ner und Oppor­tu­nis­ten über­zeu­gen, aber irgend­wann stößt man bei den tole­ran­te­ren Leu­ten ein lang­sa­mes Umden­ken an. Das muss nicht zwangs­läu­fig ein poli­ti­scher Stel­lungs­wech­sel sein – aber es würde schon rei­chen, real­po­li­ti­sche Posi­tio­nen als gleich­wer­ti­gen Teil der Ver­bands­ar­beit anzu­er­ken­nen und sie mit dem glei­chen Respekt zu behan­deln, den man für so vie­les andere einfordert.

In NRW hat es dazu eine kol­la­bierte Lan­des­kon­fe­renz gebraucht; seit­dem nähert man sich an und trinkt auch mal wie­der ein Bier zusam­men. Wer weiß, was in den nächs­ten Jah­ren auf Bun­des­ebene geschieht. Eins ist aller­dings klar: Wei­ter so kann es nicht lau­fen, sonst stirbt der Ver­band den lang­sa­men Tod und die Jusos ver­rot­ten im eige­nen Saft. Die poli­tisch enga­gier­ten jun­gen Leute in Deutsch­land gehen dann tat­säch­lich alle zur Jun­gen Union. Und das kann kaum im Sinne der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Sache sein.