Salonsozialisten
von Daniel am 11.12.2013
Schadet es dir, wenn du als Salonbolschewist verkleidet einhergepoltert kommst? Gar nicht.
- Kurt Tucholsky, Berliner Geselligkeiten
Am Vorabend der sozialistischen Revolution geht es noch einmal zu McDonalds. Nachdem auf dem diesjährigen Bundeskongress der Jusos das Arbeitsprogramm „Morgen links leben“ verabschiedet wurde, an prominenter Stelle mit dem Ziel, das kapitalistische System zu überwinden
, möchte man vorher noch einmal den Geschmack der großindustriellen Nahrungsmittelproduktion genießen. Wieso auch nicht, die bessere Welt wurde bereits beschlossen, und mit Beschlusslagen ist in der Politik nicht zu spaßen.
Damit die Beschlusslage stimmt, organisieren die Jusos einmal im Jahr den großen Bundeskongress, auf dem mehr als 300 Delegierte aus allen Teilen der Bundesrepublik Politik für junge Menschen machen wollen. Dieses Jahr hat man in Nürnberg getagt, in der mittlerweile verlassenen Zentrale des abgewickelten Quelle-Konzerns. Ich war dieses Mal Teil der NRW-Delegation, mein Kölner Unterbezirk stellt heuer ganze 9 Delegierte — mehr als der Landesverband Brandenburg oder der in Mecklenburg-Vorpommern.
Überhaupt ist Köln eine kleine Besonderheit in Nordrhein-Westfalen. Wie bei jeder Partei gibt es auch bei den Jusos verschiedene Strömungen, genau genommen drei: Das Netzwerk Linkes Zentrum (NWLZ), die Traditionalisten (Tradis) und die Pragmatische Linke (PL). Und während nun fast ganz Nordrhein-Westfalen vom Linken Zentrum besetzt wird, ist Köln eine Enklave der Pragmatiker. Ein kleines rheinisches Dorf gewissermaßen, das nicht aufhört Widerstand zu leisten.
Gegen den Strom
Für Außenstehende muss man das vielleicht erklären: An diesen Strömungen scheidet sich auch das Selbstverständnis der Jusos. Für die sogenannte „Gesamtlinke“, Tradis und NWLZ, bedeutet Jusos „Jungsozialisten“, also das ganze dunkelrote Programm mit Marx, Engels und der internationalen Solidarität. Für die Pragmatiker ist es die Abkürzung für „Junge Sozialdemokraten“, man ist hier im allgemeinen weniger nostalgisch. Damit sind auch die Fronten klar, es teilt sich gewissermaßen an der „Godesberger Linie“: Hier die sozialistische Arbeiterjugend im Klassenkampf, dort die junge Volkspartei mit realpolitischer Initiative. Demografisch ist es dabei ironischerweise genau umgekehrt: Die Gesamtlinke besteht größtenteils aus Mittelschicht-Studenten geisteswissenschaftlicher Couleur, während man bei den Pragmatikern häufig Menschen findet, deren Erwerbsbiographie bereits eine gewisse Belastbarkeit entwickelt hat.
Der faktische Unterschied zwischen Tradis und Linkem Zentrum bleibt dabei akademisch und entsteht oft nur regional oder aufgrund leicht abweichender Marx-Exegese. Ein Genosse erklärt es mir auf der Busfahrt nach Nürnberg: Die vom NWLZ tragen auch schon mal Klamotten von H&M.
In der Sache sei man sich aber einig: Der Kapitalismus müsse weg, Diskriminierung auch und ganz allgemein habe die Welt von morgen ein Gleichstellungsfanal zu erfahren, das alle menschlichen Unterschiede auflöse in ein Kollektiv harmonierender Stoffwechsler.
Was hier an Strömungsdetails albern und irrelevant klingen, erlebe ich dann nach fünfstündiger Anreise an drei Tagen in einer theatralischen Dimension, die an Absurdität und Wahnwitz nur schwer zu überbieten ist. Vor allem erlebe ich es aber als handfeste Diskriminierung. Das ist für einen weißen, privilegierten Mann eine sehr überraschende Erfahrung. Zumal ich nicht wusste, dass sich die Strömungsfronten bis in die Organisationsinstitutionen des Verbands verlängern und man als Andersdenkender geradezu aktiv verachtet wird.
Im Vorfeld habe ich es deshalb erst mal für ein Versehen gehalten, dass ich als Ersatzdelegierter auf einem relativ aussichtsreichen Listenplatz nicht über meinen möglichen Einsatz informiert wurde. Bis mich dann eine Bekannte aus einer der anderen Strömungen anschrieb, ob ich denn ebenfalls in Nürnberg dabei wäre. Dass die junge Dame auf der Ersatzliste knapp 10 Plätze hinter mir stand, fand ich seltsam, denn scheinbar hatten auch andere Strömungsgenossen weit vor mir auf der Liste noch keine Benachrichtigung bekommen. Nach kurzer offizieller Nachfrage beim NRW-Landesbüro ging es dann aber ganz schnell: Alle Ersatzdelegierten der PL, so stellte es sich nachher heraus, wurden im Minutenabstand angerufen und informiert. Es schien, als würde eine Liste abtelefoniert. Es ist ein sehr seltsames Gefühl, auf einer politischen Liste zu stehen.
Kabale und Hiebe
Aber so läuft es auf Juso-Bundesebene, das weiß ich jetzt. Im Gegensatz zur politischen Arbeit an der Basis geht es hier nicht um Argumente, sondern um Stallgeruch. „Wir gegen die“ lautet die Strömungsdevise, gut (Tradi & NWLZ) gegen böse (PL). Dabei werden in einer überraschend schamlosen Weise schmutzige Tricks angewandt, die einer höfischen Kabale in nichts nachstehen. Vor allem die durch und durch realpolitisch orientierte Delegation aus Hamburg wird auf Bundesebene regelrecht geächtet. Ich wundere mich noch beim Schreiben dieses Textes, wie ein derartiges Verhalten mit den hochgehaltenen Werten von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden kann. Entweder werden hier beide Augen zugedrückt, oder man ist derart selbstgerecht, dass der Zweck die Mittel heiligen darf.
Das wird besonders offensichtlich bei den Vorstandspersonalien, die unter der harten Fuchtel der Gesamtlinken stattfinden. Jetzt könnte man ja als Außenstehender meinen, dass die PL bei einem knappen Drittel aller Delegierten im Vorstand vertreten sein müsste, wenn man denn Diversität und Meinungsvielfalt ernst nähme. Ist sie aber nicht, die neue Vorsitzende Johanna Uekermann erklärt bei ihrer Vorstellungsrunde auch warum: „Einen Platz im Bundesvorstand muss man sich verdienen.“ In anderen Worten: Da könnte ja jeder kommen. Vielleicht werde ich das Argument mal aufgreifen, wenn es um andere Quoten geht. Ich könnte dann sagen: Einen Platz im Aufsichtsrat muss man sich verdienen. Das würde die Diskussion sicherlich spannend machen.
Wirklich fassungslos werde ich dann aber bei der Wahl für den Bundesvorsitz am Freitag Abend. Im Vorfeld wurde bereits durch den alten Vorstand die Nachfolgerin verordnet — in einer Weise, die die Kandidatenfindung Peer Steinbrücks nachgerade basisdemokratisch erscheinen lässt. Die befohlene Erbfolge gipfelte dabei in einem taz-Artikel, der Uekermann Wochen vor dem Kongress bereits zur neuen Vorsitzenden erklärte. Vielleicht durfte sie deshalb auch das Arbeitsprogramm vorstellen, sie bekommt auf diese Weise jedenfalls mehr als doppelt so viel Zeit die Delegierten zu umschmeicheln. Wobei sie das eigentlich nicht nötig hat, die Wahl an sich ist wegen der einbetonierten Mehrheiten ohnehin weitgehend bedeutungslos. Der Gegenkandidat aus der PL, Hauke Wagner, entspricht nämlich so gar nicht der sozialistischen Richtlinie: Realpolitiker, Industriemanager, Verheiratet, Hamburg. Außerdem will er die Große Koalition, gewissermaßen als Sahnehäubchen auf der Henkersmahlzeit. Wie verhasst so jemand ist, merke ich bei seiner Rede: Mit echter Überzeugung hebt er entschlossen die Faust und ruft in den Saal: „Kein Fußbreit dem Faschismus!“ — und erntet betretenes Schweigen bei den linken Strömungen. Ich frage mich, wie verbohrt man sein muss, um als Linker bei so einem Satz nicht zu klatschen. Man weiß es nicht, man ahnt es aber.
Man sieht es auch später wieder bei einem Antrag aus Hamburg. Eine Azubi-Gruppe soll eingerichtet werden, was natürlich nicht sein kann, weil man aus Hamburg keinen Antrag duldet. Deshalb treten ein paar Schüler ans Mikro, reden von Parallelstrukturen und behaupten, die Schülergruppe der Jusos würde sich ja um die Azubis kümmern. Dann fällt noch das Mikro aus, als ein Hamburger den Antrag verteidigen will, und schon sind zwei Drittel im Saal der Meinung, dass die Jungsozialisten der ältesten Arbeiterpartei Deutschlands kein Angebot für den betrieblichen Nachwuchs brauchen.
Das ist nicht nur grotesk, sondern auch tiefenironisch: Bei einem Verband, der so oft von „Überzeugung“ spricht, ist die Überzeugung im Diskurs nicht vorgesehen. Hier gibt es richtig und falsch, einsehen und einknicken. Echte Toleranz, also die vorbehaltlose Akzeptanz der Möglichkeit einer anderen Wahrheit, sucht man vergebens.
Moralisches Theater
Es wird auf dem Kongress ohnehin viel geheuchelt. Während vorne die Abkehr vom kapitalistischen System gefordert wird, kann man sich in der Vorhalle des Plenums bei den Lobbyständen der Deutschen Bahn und der Telekom beraten lassen, eine Versicherung abschließen oder XBox spielen. Ich selbst habe weder Probleme mit der Deutschen Bahn (bis auf die obligatorischen Verspätungen), noch mit der Telekom oder einer XBox, aber ich behaupte einfach mal, dass nichts davon im Sinne der sozialistischen Revolution ist. Auch die Unterbringung der Delegation im Livestyle-Hotel mit Design-Interieur ist mir allemal lieber als die schäbigen Lagerhäuser, in denen Marx und Engels über den Arbeiteraufstand diskutierten, aber auch hier könnte man als echter Sozialist kritisch den Finger heben. Als Kulisse für das denkwürdige Schauspiel, bei dem eine Gruppe privilegierter Studenten über die Unterdrückung durch die Bourgeoisie schwadroniert, entwickelt dieses Ambiente dann aber einen ganz eigenen Charme.
In dieses Theater tritt dann wenig später ein Marxist und möchte eine Antragsdiskussion mit den Worten beenden: Die Klassengesellschaft ist ein Fakt!
Das heißt natürlich nichts anderes als: Meine Position ist alternativlos
, wobei er das so vermutlich nicht gesagt haben wollen würde. Kurz ringe ich deshalb mit dem Gedanken der Konfrontation. Argumente gegen den historischen Materialismus gibt es genug, und auch die Klassengesellschaft ist in Zeiten der millieubasierten Identifikation und Erosion proletarischer Lebenswelten alles andere als faktisch.
Ich hole mir dann aber doch nur einen Kaffee, es nützt ja alles nichts. Die Tasse kostet stolze zwei Euro, überhaupt sind die Getränke auf dem Kongress allesamt sehr teuer. Vermutlich um die Leiden der Produktionskräfte durch die Entfremdung von ihren Erzeugnissen zu lindern. Vielleicht hatte man aber auch einfach keine Zeit, günstiges Catering zu bestellen. So entsteht zumindest auf dem Kongress eine Teilung in Buffetbourgeoisie und Mitbringproletariat, die dem Klassenkämpfer auf der Bühne gefallen würde. Und da ich unter all den Studenten als Arbeitnehmer mit geregeltem Einkommen bereits zum Großkapital gehöre, kaufe ich gleich noch eine Packung Nürnberger Lebkuchen für 8,50 Euro dazu. Was soll der Geiz, man lebt nur einmal.
Apropos Geiz: Man geizt hier nicht mit moralischen Urteilen. Besonders moralinsauer wird es bei einem Genderthema, bei dem ein pragmatischer Genosse doch anmahnt, die Welt nicht in schwarz und weiß zu spalten, sondern auch Grauzonen zuzulassen. Eine angestrengt wirkende Frau stapft umgehend ans Mikro und zetert in den Saal, die Welt sei zwar nicht schwarz und weiß, aber trotzdem böse. Damit ist die Debatte dann auch beendet, denn natürlich will niemand dem Bösen Vorschub leisten. Überhaupt gibt es Killerphrasen im Sonderangebot. Genosse Jungiligens aus Mönchengladbach hat hier sogar die ultimative BuKo-Kompilation gewagt. Mein Vorschlag wäre kürzer, vielleicht: „Wir sind ein istischer, istischer und istischer Richtungsverband, Nossenunnossen, so geht es doch nun wirklich nicht!“ Damit könnte man sicher den ein oder anderen Schlagabtausch gewinnen — wenn man nicht das Stigma des Pragmatikers trägt.
Freund und Feind
Dass diese überhaupt nicht gerne gesehen werden, sieht man spätesten beim Besuch von Sigmar Gabriel. Der macht eigentlich nichts anderes als der alte Juso-Bundesvorsitzende Vogt am Tag zuvor: Er steht auf der Bühne und findet die Große Koalition gut. Trotzdem wird jener geradezu liebevoll verabschiedet, während man diesen mit Spott und Verachtung überschüttet. Gabriel gibt sich dabei aber unerschütterlich und liest den Jusos die realpolitischen Leviten. Im Kern zeigt sich auch hier wieder das Problem der binären Teilung in Freund und Feinde: Gabriel behandelt die Koalition wie ein Geschäft mit dem politischen Gegner, für viele Jusos aber ist sie der Verrat an den politischen Feind.
Das ist wohl ein grundlegendes Problem: Im Klassenkampf gibt es keinen sportlichen Kontrahent, sondern nur feindliche Unterdrücker. Vielleicht ist das beschlossene Programm auch deshalb so negativ: Es will alles mögliche bekämpfen, abschaffen, aufbrechen oder überwinden. Das alles aber nicht etwa wortgewaltig und mit dem Pathos eines politischen Manifests, sondern sehr im Fachjargon beschränkt und mit der beiläufigen Aggressivität einer zerbröselnden Ehe. Als ob der Autor beim Schreiben schlechte Laune gehabt hat.
Passenderweise soll kurze Zeit später die Ehe abgeschafft werden, sie sei ein patriarchalisches Konstrukt. Meine stumme Frage, ob das auch für die Homoehe zweier Frauen gelte, wird nicht beantwortet. Es scheint aber, dass man die Homoehe trotzdem einführen will, damit man sie nachher mit allen anderen Eheformen abschaffen kann. Ähnliches gilt für die Frauenquote, die man natürlich will, obwohl man auch gleichzeitig soziale Geschlechterkonstruktionen überwinden möchte. Auf Nachfrage werde ich aber aufgeklärt: Man möchte erst die Quote und dann die Entschlechtlichung. Das Wort gibt es nicht, ich habe es mir gerade ausgedacht, aber es passt so schön in den soziologischen Wortzirkus, der sich Antragsdebatte nennt. Der Einwand allerdings, dass es ja nun wenig sinnvoll sei, wenn man beispielsweise Legosteine erst gleichmäßig nach Farben verteilt, nur um sie nachher alle weiß zu lackieren, wird nicht ernst genommen. War er auch nicht gemeint, ich halte die weibliche Quote prinzipiell für eine gute Sache. Trotzdem bin ich immer wieder überrascht, wie wenig Humor bei solchen Themen erlaubt ist. Aber vielleicht darf man in einer bösen Welt auch einfach keine Witze machen.
Dabei könnte auch der Bundeskongress mit einer Quote ein Stück gerechter werden: Durch Regionalproporz bei Antragsbeschlüssen zum Beispiel. Oder durch Strömungsquotierung im Vorstand, wie es ja bei der grünen Doppelspitze der Fall ist. Das würde aber vermutlich niemals freiwillig beschlossen werden, weil hier einer der ältesten sozialen Mechanismen der Menschheitsgeschichte greift: Machterhalt. Denn so obrigkeitskritisch und antihierarchisch man sich auf dem Kongress gibt — die Regionalfürsten der Jungsozialisten sind Platzhirsche mit eisenharten Manschetten. Ihre Machtpolitik steht dem innerparteilichen Ränkespiel in nichts nach. Mit welchen perfiden Tricks auch auf dem Bundeskongress Mehrheiten organisiert und verteidigt werden, hat der Genosse Yannick Reuter unlängst in einem Blogbeitrag gemutmaßt: Übervorteilungen, Absprachen, Satzungstricks bis hin zu technischer Sabotage.
Es ist natürlich schwer, hier juristisch einwandfrei eine tatsächliche Absicht nachzuweisen, das gelänge vermutlich nur mit kriminalistischen Mitteln. Trotzdem ist es auffällig, wie viele solcher Einzelheiten sich zu einem Ganzen fügen, und wie deutlich diese Einzelheiten von den unterschiedlichsten Menschen wahrgenommen werden. Der Genosse Reuter beispielsweise verweigert sich ausdrücklich der Strömungspolitik und sympathisiert mit keiner Fraktion, beobachtet das ärmliche Schauspiel aber trotzdem (oder deswegen) mit Schaudern.
Spricht man die Leute darauf an, wird weitgehend abgewiegelt. Es gehe ausschließlich um Inhalte, man müsse doch fair bleiben und so weiter. Ich frage mich, ob das an tatsächlicher Überzeugung, simpler Naivität oder gerissener Verschlagenheit liegt. Vielleicht ist es aber auch nur eine Form von Betriebsblindheit, die das eigene Handeln nur noch unzureichend reflektiert. Der Delegationsleiter von NRW zum Beispiel hat eine sehr raumgreifende Persönlichkeit und ist sehr von seinen politischen Qualitäten überzeugt. Vielleicht ist das der Grund, weshalb er Einwände und Zweifel von außerhalb gerne mit jovialer Geste wegwedelt. Die Überzeugung hilft ihm jedenfalls dabei, vor dreihundert Delegierten sturzbetrunken auf die Bühne zu schlendern und Trivialitäten über den scheidenden Vorsitzenden zu erzählen. Das muss man können, und das muss man wollen.
Der Sozialismus, ein Insiderwitz
An diesem samstagabendlichen Programmpunkt findet ohnehin eine symbolische Verdichtung statt, von der man als Journalist nur träumen kann. Es wird fast der gesamte Bundesvorstand entlassen und jeder einzelne Abschied durch interne Anekdoten, Einspielfilmchen oder Musik gefeiert. Die ganze Zeremonie dauert geschlagene drei Stunden, bis um 23.00 Uhr schließlich der schleswig-holsteinische Landeschef Ralf Stegner auf die Bühne tritt, um eine halbstündige Abschiedslaudatio auf Sascha Vogt zu halten. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits ein Großteil der Anwesenden ernsthaft verärgert, weil sie als einfache Delegierte die meisten Geschichten und Personen kaum oder gar nicht kennen und den Kongress eigentlich seit 20.00 Uhr beim Verbandsfest ausklingen lassen wollten. Aber die Bundesfunktionäre kreisen im Geiste um sich selbst. Nur so ist es zu erklären, dass man rund 200 Außenstehenden den Abend versaut, indem man einem dreieinhalbstündigen Insiderwitz erzählt.
So steigt die Feier erst um Mitternacht, was den nächsten Tag nicht unbedingt einfacher macht. Kurz vor Schluss wird nämlich noch einmal der Geist von Rosa Luxemburg heraufbeschworen, die laut Antragstellerin auch noch knapp 100 Jahre nach ihrem Tod zeitgemäße Antworten für die Probleme des 21. Jahrhunderts bieten soll: Man beschließt mit viel gendertheoretischem Brimborium die Teilnahme am Frauenkampftag. Eine Genossin aus Münster äußert im kleinen Kreis die Hoffnung, es könnte dabei ja vielleicht auch um Schlammcatchen gehen, wird dafür aber pflichtbewusst mit einem Grinsen kritisiert.
Schließlich ist es geschafft: Der Kongress hat ein Ende, der Kapitalismus bald hoffentlich auch und man fährt müde in die jeweilige Heimat zurück. Beschlossen wurde einiges, obwohl die Mehrheiten fast immer entlang der Strömungsfronten verliefen und eine integre linke Politik natürlich anders aussieht. Es bleibt zum Beispiel offen, wie die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise mit der zeitgleich erhobenen Forderung nach „Smartphones für alle“ verbunden werden kann. Es bleibt offen, wie sich die Forderung nach Gleichheit und Inklusion mit der Isolation eines knappen Drittels der Delegation verträgt. Und natürlich bleibt es offen, wie man nach drei Tagen im Sozialistenzirkus freimütig bei McDonalds einkehren kann. Doch das sind Fragen, die sich die meisten Delegierten nicht stellen. Nicht heute, man will ja erst „Morgen links leben“.
Ich persönlich beiße am Sonntagabend jedenfalls herzhaft in meinen Burger, ich habe ja gegen die Abschaffung des Kapitalismus gestimmt. Am genüsslichen Mampfen der anderen glaube ich erkennen zu können, dass es vielen gar nicht so Unrecht ist, wenn der Kapitalismus noch ein paar Tage durchhält. Im Sozialismus gibt es sicher keinen Big Tasty.
Beim Entsorgen der Delegiertenunterlagen nehme ich mir aber trotzdem fest vor, in einem Jahr mal nachzuschauen, was aus den ganzen Anträgen geworden ist. Vermutlich nichts, so war es auch in den vergangenen Jahren. Den einzig nennenswerten Mehrwert für die Gesellschaft leistet der Juso-Bundesverband im Nachwuchsbereich: Die meisten Funktionäre werden durch Seilschaften in irgendwelche Positionen gehievt und retten damit nicht selten ihre brüchige Biografie. Auch Johanna Uekermann wird wohl am Ende ihrer Juso-Karriere in irgendeinem Parteiamt landen, so wie Vogt und die meisten Juso-Vorsitzenden vor ihm. Ein Genosse bemerkte am Wochenende dazu zynisch, dass sei im Grunde doch im Sinne der sozialdemokratischen Arbeiterwohlfahrt: Menschen zu helfen, die auf dem Arbeitsmarkt Probleme haben. Aber auch wenn man freundlicher darüber reden will, regt sich Zweifel: Wie nah am Volk bleibt eine Volkspartei, wenn sich ihre Funktionäre ausschließlich aus den eigenen Kaderschmieden rekrutieren? Und wie zukunftssicher ist die Nachwuchsarbeit einer überalterten Partei, wenn jedes Jungmitglied automatisch einem Verband sozialistischer Hardliner zugeordnet wird?
Im roten Salon
Für zwei Drittel der Jusos stellt sich die Frage nicht. Je enger man mit der eigenen Ideologie verflochten ist, desto weniger spielt die Realpolitik eine Rolle. Im Grunde ist es wohl ein Spiel: Wer die Regeln kennt, wer die Sprache spricht, wer die Kontakte pflegt, der gewinnt am Ende ein Amt, eine Funktion oder zumindest Anerkennung in den eigenen Reihen. Der eingangs zitierte Salonbolschewist, den Kurt Tucholsky in seinen Werken gerne verspottet, findet man hier in bester Definition des Duden: Als jemand, der sich für die Theorien des Bolschewismus begeistert, sie aber in der Praxis nur dann vertritt, wenn er dadurch nicht auf persönliche Vorteile verzichten muss.
Aber so verbittert das alles auch klingen mag: Die echte und gute sozialdemokratische Politik für junge Menschen wird vor allem an der Basis gemacht. In den Unterbezirken, den Stadtbezirken und den Arbeitsgemeinschaften ist man glücklicherweise weit entfernt von den roten Parolen aus einer Zeit, in der man die Verdammten dieser Erde noch tatsächlich zum Hungern gezwungen hat. Das beruhigt mich nachhaltig.
Und so bleibt vom Bundeskongress die Erinnerung an eine überraschend reaktionäre Veranstaltung, mit wenig Relevanz für die Menschen und das Morgen. Man hat die Gesellschaft mit 150 Jahre alten Theorien erklärt, man hat Ungerechtigkeit in schwierigen Worten beschimpft, man hat sich auf Autoritäten aus den vergangenen zwei Jahrhunderten berufen und man hat eine Arbeiterfolklore gefeiert, die schon in den Achtzigern anfing zu rosten. Immer wieder wurde das Mantra des istischen-istischen-istischen Richtungsverbands heruntergebetet und damit um billigen Applaus gebuhlt. Immer wieder wurden komplizierte Wörter aufeinander getürmt, mit denen man die Welt in letzter Instanz erklären will.
Das beschlossene Programm ist deshalb auch keine akute Hilfe für Hilfsbedürftige, keine konkrete Gesellschaftsanalyse, sondern ein nostalgisches Wolkenkuckucksheim voller akademischer Absichtserklärungen, ein kollektives „Man müsste mal“ und „So geht es nicht“, dabei aber so weit entfernt vom Alltag der jungen Menschen wie die Sexualmoral der römischen Kardinalskurie.
Wobei man in Rom mittlerweile progressiver denkt. Zwar haben die Delegierten auch dieses Mal am Ende fleißig gesungen: Es hilft uns kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
— der bessere Kapitalismuskritiker aber, so scheint es in diesen Tagen, ist der Papst in Rom. Das muss zu denken geben.
One comment
[…] der Jusos gefahren, diesmal nach Bielefeld. Wollte ich eigentlich nicht mehr, weil mich das letzte Mal so geärgert hat. Außerdem war es ausgerechnet in Ostwestfalen, quasi die Schäl […]
by Ab nach drüben « Gorgias on 11.12.2014 at 14:17. #